Wenn sinnvoll sinnlos wird

Veröffentlicht am 3. März 2024 um 19:32
Smiley. Ist der Weg das Ziel?

Die Frage nach der Zufriedenheit, des Glücks und des Wohlbefindens treibt uns seit Jahrtausenden um. Dazu las ich einen interessanten Artikel über Selbstverwirklichung im Job, der mich zum Nachdenken brachte.

Die Autorin Katrin Wilkens ist der Ansicht, dass wir glücklich sind, wenn wir Freude empfinden – unabhängig von der Sinnhaftigkeit. Sie schlägt vor, sich mehr an dem Prinzip der Freude zu orientieren und weniger an der Sinnhaftigkeit. Die Sinnhaftigkeit sei gerade für die Frauen eine grosse Gefahr, da sie der Sinnhaftigkeit einen (zu) hohen Stellenwert beimessen und die daran geknüpften Erwartungen  dementsprechend (zu) hoch seien. Erschwerend kommt hinzu, dass sinnstiftende Berufe oft mit tieferem Einkommen einhergehen. Ein gutes Beispiel für Wilkens‘ These sind Sozial- und Gesundheitsberufe. Wir sind uns sicher einig, dass es sich dabei um eine sinnhafte Branche handelt (mit oft genderspezifisch tiefen Löhnen). Doch wenn die Arbeitnehmenden tagtäglich zu langen Schichten arbeiten müssen, zu wenig Zeit für Patient:innen und für professionelle Betreuung haben und die kranke Kolleg:in zur unerträglichen Belastung wird, bleibt die Freude oft auf der Strecke. Der Job besteht dann vorrangig darin, mit der Unbill des Systems zu kämpfen – egal wie sinnvoll der Job als solcher sein mag. Das widerspiegelt sich auch in der Statistik. Die sozialen Berufe sind Spitzenreiter bei den Burnouterkrankungen1.

Wir wissen mittlerweile, dass nicht die hedonistischen Lebensziele wie schnelle Autos, tolle Reisen und andere, mit genügend Kleingeld verfügbare Dopaminboosterchen, zum Lebensglück verhelfen. Die nachhaltigen Glücklichmacher sind die eudaimonischen Ziele. Dieser etwas ungewöhnliche Name stammt von Aristoteles. Das Thema hat die Menschheit schon vor über 2000 Jahren umgetrieben. Heute benennt die Forschung dazu Faktoren wie Selbstakzeptanz, Persönlichkeitsentwicklung, Beziehungen zu Anderen, Autonomie, Alltagsbewältigung und Lebensziele2. Keyes3 erweiterte die sozialen Faktoren um soziale Aspekte wie soziale Anerkennung, soziales eingebettet sein, sich als sinnvoller Teil der Gesellschaft empfinden.

Doch was hat das mit Frau Wilkens' Artikel zu tun? Ihre Differenzierung ist wichtig. Die Gleichung "sinnhaft = freudvoll" greift zu kurz. Lassen wir uns nicht den Geist vernebeln von  sinnstiftenden "Visions and Missions" ach so gutmeinender Marketing-Abteilungen - oder von unseren eigenen moralischen Vorstellungen, wohl genährt aus Florence Nightingales Nachlass. Zweifellos ist ein sinnstiftender Beruf erstrebenswert. Sinnvoll für unsere psychische Gesundheit, für unser Wohlbefinden. Sinnstiftende Tätigkeit fördert den Zustand des begehrten Flows. Die Müdigkeit ist wie weggeblasen, die Zeit vergeht im Flug, wir entwickeln Bärenkräfte und ein Durchhaltevermögen, von dem wir nicht einmal wussten, dass wir es haben. Wir erleben Eudämonie im Alltag.

Doch was, wenn die sinnvolle Arbeit keine Freude macht? Ist Sinnhaftigkeit nur gegeben, wenn es um altruistische Tätigkeiten geht? Wer bestimmt, wann etwas sinnvoll ist?

Die Freude, die wir an einer Tätigkeit empfinden, macht sie für uns sinnvoll. Wir fühlen uns selbstwirksam und kohärent. Macht sie keine Freude mehr, verliert die Tätigkeit die persönliche Sinnhaftigkeit. Und sei sie noch so sinnvoll für die Allgemeinheit.

Es gilt also, dass Freude eine Tätigkeit sinnvoll, aber sinnvolle Tätigkeit nicht zwingend Freude macht.

 

1) Statista (2024). Berufsgruppen mit den meisten Arbeitsunfähigkeitstagen aufgrund von Burn-out-Erkrankungen im Jahr 2022. Retrieved 20240303 from Statista

2) Ryff, C. D. (1989). Happiness is everything, or is it? explorations on the meaning of psychological well-being. Journal of Personality and Social Psychology, 57(6), 1069-1081. doi:10.1037/0022-3514.57.6.1069 

3) Keyes, C. L. (2006). Subjective well-being in mental health and human development research worldwide: An introduction. Social indicators research, 77, 1-10.

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