Verschlechtert Psychologie die Welt?

Veröffentlicht am 18. Mai 2023 um 21:41

Heute bin ich im Netz auf einen spannenden Artikel des Berliner Psychologen und Philosophen Thorsten Padberg gestossen. Er wirft einen kritischen Blick auf die Psychologie als Wunderheilmittel. Er moniert, die heutige Psychologie verkaufe eine Mogelpackung, die besagt, wer schön fleissig und brav an seiner Selbstoptimierung arbeite, erreiche seine Lebensziele und werde dadurch zu einem (immer) glücklichen Menschen. Heutige Paradigmen könnten einem schon verleiten, diesem Kuhhandel auf den Leim zu gehen.

Das passt in den Tenor von Juliane Marie Schreibers Buch „Ich möchte lieber nicht. Eine Rebellion gegen den Terror des Positiven“1. Sie beschreibt darin ausführlich, warum sich an den Ungerechtigkeiten nichts verändert, wenn wir uns nur damit beschäftigen, wie wir uns selbst glücklich machen. Sie erwähnt dabei sehr treffend das (zynisch anmutende) Angebot im Drogeriemarkt von „sei frech und wunderbar“ - Duschgels und „mach Dich frei“- Kräutertees, welche die Selbstoptimierungsmasche verkaufsfördernd auf den Punkt bringen. Auch tägliche Achtsamkeitsübungen oder die Arbeit am „inneren Kind“ machen nicht wett, dass wir ein Problem mit Armut, Krieg und Klima haben. Weder Meditation als Mittel gegen den Stress im Arbeitsleben noch die Pflege der eigenen Verletzlichkeiten sind ein probates Heilmittel gegen soziale Ungerechtigkeit. Wohlgenährte, träge Menschen verändern nichts. Wer ausschliesslich auf das eigene Glück fokussiert, vergisst die anderen und trägt auch nichts zur Lösung dieser Missstände bei. Schreiber und Padberg sind sich einig, dass es nicht nur psychologische Probleme gibt, sondern sehr wohl auch viele handfeste gesellschaftliche Missstände. Werden diese psychologisiert und damit individualisiert, wird sich nichts ändern. Weder für sich noch für die Mitmenschen. Da hilft dann doch eher der von Schreiber treffend formulierte Begriff des "depressiven Realismus". Sie geht noch weiter und findet, dass Wut willkommen ist, solange sie nicht in destruktive, egoistische Hassgefühle ausartet.

Zudem sind die Selbstoptimierungs- und Glücksversprechungen wohl eher ein hedonistisches, denn psychologisch hilfreiches Konstrukt. Bestenfalls bieten sie kurzfristig ein angenehmeres Gefühl, eine flüchtige Streifung, vielleicht einfach eine Ausschüttung von Glückshormonen, die das Leben etwas pastelliger machen. Doch lange währt diese zartrosa Wolke nicht und wir müssen den Reiz verstärken, damit erneut der wunschlos glücklich machende Effekt eintritt, der uns doch gerade so verzückte. Ein zugegebenermassen wenig nachhaltiges Konzept. Wie Padberg kommt auch Schreiber zum Schluss, dass die Unzufriedenen, die Nein-Sager etwas zur Weltverbesserung beitragen. Weil sie nicht alles hinnehmen und auf die eigene Seele münzen. Weil sie das Leid sehen und etwas dagegen unternehmen – bei sich UND in der Welt. Schreiber zitiert dafür den italienischen Philosophen und Politiker Antonio Gramsci, der sagte, man müsse „nüchterne und geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.“2

Vielleicht dient dann die Achtsamkeit, die Reflexion und von mir aus sogar die Pflege des inneren Kindes doch dazu, aus uns nüchterne, überlegte Menschen zu machen, die mit der Unbill des Lebens so weit zurechtkommen, dass sie die Distanz wahren können und undogmatische Lösungen finden für sich und die Welt?

 

1 Schreiber, J. M. (2022). Ich möchte lieber nicht. Eine Rebellion gegen den Terror des Positiven. 3. Auflage. Piper Verlag GmbH, München

2 Gramsci Antonio (1929-1935). Gefängnishefte. Zitiert nach Schreiber, S. 171

 

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