
Angst kann jeden befallen. Angst ist ein lästiges Gefühl. Auch wenn wir Ängste nicht leiden können, haben Angstgefühle zum Ziel, uns zu schützen. Tritt ein Alarmstimulus auf, schaltet unser Körper dank der Amygdala auf Hochtouren. Die Amygdala sitzt tief in unserem Kopf und ist eine Hirnregion, welche unser Gefühl, etwas salopp gesagt, mit dem Körper verknüpft und für Hormonausschüttungen sorgt. Dadurch steigt die Herzfrequenz an, die Muskeln werden stärker durchblutet, unsere Hände werden feucht, wir sind hellwach und der Körper bereitet uns darauf vor, alle Kräfte zu mobilisieren, um zu fliehen. Damals – zu Zeiten des Säbelzahntigers! – eine überlebenswichtige Strategie, um möglichst schnell aus der Gefahrenzone zu entkommen.
Heute dient die Angst immer noch unserem Schutz. Menschen ohne Angstgefühle leben deutlich gefährlicher. Die Körperaktivität verhilft uns zu höherer Leistungsbereitschaft und Fokussierung, was in vielen Situationen sinnvoll ist. Bis zu einem gewissen Grad ist Angst gesund und normal. Das Problem bei Ängsten liegt im Ausmass. Was, wenn die Angst so stark ist, dass sie lähmt und uns veranlasst, gewisse Situationen zu vermeiden, selbst wenn wir uns dadurch Schaden zufügen. Wenn wir die Prüfung nicht absolvieren, obwohl dann die in Aussicht gestellte Beförderung nicht möglich ist? Den dringend angesagten Zahnarztbesuch bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben und in Kauf nehmen, dass das Problem irgendwann noch viel grösser wird? Dass die Aktivitäten immer mehr eingeschränkt werden? Angststörungen waren 2017 in der Schweiz mit 14,7% eine der häufigsten psychischen Krankheitsbelastungen1) nach Demenzerkrankungen (27,6%) und Depressionen (19,3%)). Frauen sind doppelt bis dreimal so oft davon betroffen wie Männer. Eine Studie der Uni Basel2) legt nahe, dass zwar viele Menschen mit Angstproblemen Hilfe in Anspruch nehmen, aber gerade Jugendliche oft keine Unterstützung erhalten. Daher sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass sich (psychotherapeutische) Hilfe in jedem Alter lohnt, wenn es um Ängste oder gar Panikattacken geht, welche das alltäglichen Leben einschränken.
Oft höre ich, dass Angehörige mit einer Mischung aus Zuckerbrot und noch etwas mehr Peitsche reagieren. Sei es aus Überforderung, fehlendem Einfühlungsvermögen oder schlichter Unwissenheit. Das klingt dann so oder ähnlich: Du musst halt da durch, nimm den Finger raus, es ist ja nicht so schwer/so schlimm, ich kann es ja auch und andere ähnlich gelagerte Aussagen. Nun ja, das ist gut gemeint, doch hilft es leider nicht. Es verstärkt höchstens die eigenen Versagensgefühle und reduziert das Selbstwertgefühl. Keine guten Voraussetzungen für den bevorstehenden Kraftakt – dem Überwinden von Angstgefühlen.
Was hilft besser?
- Keinen Druck aufsetzen! Was für Aussenstehende unproblematisch aussieht, kann für Betroffene den Mount Everest darstellen. Scheint das Ziel unüberwindbar, ist es sinnvoll, kleine Teiletappen zu überlegen. Wahrscheinlich kann man beim Zahnarzt erstmal ein Erstgespräch vereinbaren, statt gleich loszulegen oder gemeinsam einkaufen gehen und den Bus für (ganz) kurze Strecken nutzen und sicher nicht gleich während der Hauptverkehrszeit. Oder würden Sie den höchsten Gipfel der Erde unvorbereitet und ohne Zwischenlager besteigen?
- Gibt es bereits erlernte Copingstrategien, zum Beispiel Atemübungen oder Entspannungsübungen? An Übungen erinnern oder zusammen Atemübungen machen kann in akuten Situationen zur Beruhigung beitragen.
- Angst ist eigentlich ein sinnvolles Gefühl. Es kann sich lohnen, nachzufragen, wovor sich das Gegenüber mit der Angst schützen möchte.
- Und last but not least: Alles abnehmen und überall und jederzeit zur Stelle zu sein, ist ebenfalls schädlich. Das verstärkt die Unselbständigkeit und reduziert dadurch das Selbstwertgefühl. Sprecht zusammen und diskutiert, wer was benötigt. Auch mitzuteilen, dass man an die Grenzen stösst bei der Unterstützung von Menschen mit Ängsten kann ein Schritt aus der misslichen Lage hinaus bedeuten. Die Grenzen der Aussenstehenden sind ebenso ernst zunehmen wie die Ängste!
Wichtig zu wissen:
Obwohl sich Angstattacken schrecklich anfühlen: Man kann daran nicht sterben.
Angstattacken sind vorübergehend. Meist ist der Peak in den ersten 10 Minuten erreicht und klingt danach wieder ab. Nur in seltenen Ausnahmefällen dauern sie länger als 30 Minuten.
References
1)Schuler, D., Tuch, A. & Peter, C. (2020). Psychische Gesundheit in der Schweiz. Monitoring 2020. (Obsan Bericht 15/2020). Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium. Recieved 20230205 from www.obsan.admin.ch/de
2) Runge, A. J., Beesdo, K., Lieb, R. & Wittchen, H.-U. (2008). Wie häufig nehmen Jugendliche und junge Erwachsene mit Angststörungen eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch? Verhaltenstherapie 2008;18:26-34. doi: 10.1159/000113890 received 20230205 from https://www.karger.com/Article/Abstract/113890#
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